An einer jungen Dame scheiden sich beim Eurovision Songcontest die Geister. Sie trägt zwei verschiedene Schuhe, weil sie sich für kein Paar entscheiden kann, wirkt meist entspannt, aber verdreht vor laufender Kamera die Finger, weil sie aufgeregt ist: Sie ist kompromisslos unangepasst. Man reibt sich an ihr. Aber – da endlich sind sich Bewunderer wie Kritiker einig – Lena Meyer-Landrut ist „echt“.
Was uns die Attribute „ehrlich und echt“ einbringt, das nennen wir Authentizität: Aussage, Gestik, Mimik, Haltung und Tonalität sind kongruent. Sie stimmen überein. Aber das Beispiel Lena Meyer-Landrut zeigt: Das Publikum, das uns „ehrlich und echt“ findet, frisst uns darum nicht gleich aus der Hand. Aber es ist geneigter, hinzusehen, ob unsere Hand eine „fressenswerte“ Leistung verbirgt.
Lässig, kantig, cool – verkrampft
Ist Authentizität also das Allheilmittel im Beruf? Hände an hängenden Schultern versenkt in den Hosentaschen, dazu ein apart schlurfender Gang. Was auf dem Schulhof noch Hormonherzen höher schlagen lässt, wirkt auch bei der Präsentation? Nein. Da schlägt beim Kunden meist nur eines: Die innere Tür. Und zwar zu. Warum?
Das Publikum hat nur wenige Sekunden, um sich ein Bild von der Person zu machen, der es die nächste halbe Stunde ohnmächtig ausgeliefert sein wird. Es ist darauf angewiesen, die Signale, die der Redner aussendet, zu interpretieren. Pech, wenn die nicht eindeutig sind. Pech für den Redner. Denn während ihn schon dreiviertel des Publikums für einen ablehnenden, arroganten Flegel halten, findet der Redner, dass er sein Lampenfieber echt lässig überspielt hat.
Verständlich, dass man gerne mit der wohlgeübten Haltung, die erfolgreich Schülermeere auf dem Pausenhof teilte, beim Kunden Eindruck machen will. Schade nur, dass der, dem Schulhof längst entwachsen, diese Geste nun ganz anders interpretiert. Schließlich hat jeder soziale Raum seine eigene Signalsprache. Sie zu erlernen ist Teil unseres persönlichen Wachstums.
Ich will so bleiben, wie ich bin?
In Trainings erleben mich Teilnehmer oft als Gebetsmühle: „Halten Sie beim Reden Ihre Hände locker vor dem Bauch!“ „Hände hoch!“ „“Uuuund da sinken sie wieder, die Hände!“ Teilnehmer erleben in diesem Moment ihre Hände plötzlich als Fremdkörper und, sobald ich wegsehe, – Schwups! – schleichen die Hände wieder nach unten.
„Das bin ich nicht!“ höre ich dann oft und „Das ist für mich nicht authentisch“. Das Gefühl ist richtig. Die Interpretation ist falsch. Das Unbehagen signalisiert keine Identitätskrise. Aber es verrät, dass man im Begriff ist, etwas zu lernen, das außerhalb der eigenen Komfortzone liegt.
Das Feedback im Training verrät uns, welche unserer Signale vom Publikum anders interpretiert werden, als wir selbst annehmen. Indem wir uns auf neue Gesten und Gedanken einlassen, vergrößern wir das Repertoire an Signalen, mit denen wir auf die Bedürfnisse des Publikums bzw. des Kunden einzugehen vermögen.
Das ist der erste – nicht immer behagliche – Lernschritt. Er ist unweigerlich – wie jedes Lernen – mit einem Moment der Unauthentizität verbunden. Die Erfahrung zeigt, sobald man sich innerlich mit Gesten wie der Handhaltung vor dem Bauch ausgesöhnt hat, werden die Hände locker und entspannt. Im Training erlernt man die Signalsprache des Kunden. Was man später in dieser Sprache kommunizieren will, bleibt eine persönliche Entscheidung und Ausdruck der eigenen Authentizität.
Wie sicher wir die Gratwanderung zwischen Authentizität und Eingehen auf unsere Umgebung absolvieren, hängt von der Größe und der genauen Kenntnis unseres Signalrepertoires ab. Auch eine unangepasste Künstlerin wie Lena Mayer-Landrut gerät in Situationen, in denen sie um die richtigen Signale ringt – wie ihre Liedzeilen anschaulich verraten.
I even did my hair for you
I bought new underwear, they’re blue
And I wore ‘em just the other day
– Lena Meyer-Landrut ‑
Bild: great barrier thief / photocase.com