Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf dem Zehnmeterbrett. Vor Ihnen das tiefe Wasser, hinter Ihnen bereits der Nächste, der springen will. Ein letzter Blick in die Tiefe, noch mal tief geatmet, konzentrieren. Da ertönt von hinten eine Stimme „Mei, wird das heute noch was?“
Jetzt würden Sie am liebsten im Boden versinken. Für Ihren inneren Kritiker ist das ein gefundenes Fressen: „Mei, bist du lächerlich, die anderen wären schon dreimal gesprungen.“ Jeder von uns hat einen solchen inneren Kritiker und jeder dieser Kritiker hält ein auf uns zugeschnittenes Repertoire an Freundlichkeiten bereit.
Sie haben jetzt drei Möglichkeiten:
- Die instinktive Flucht nach vorne, über die Brettkante und rein ins Wasser,inklusive schmerzhaftem Aufprall.
- Schlagfertig parieren und stinksauer in die Tiefe stürzen und dabei Gefahr laufen, durch den Kontrollverlust eine miese Figur zu machen.
- Cool bleiben, Tempo rausnehmen, Stärke zeigen: Sie sammeln sich neu und springen oder Sie lassen dem anderen gelassen den Vortritt und springen dann.
Die instinktive Flucht nach vorne
Sich über die Brettkante scheuchen zu lassen, ist die denkbar schlechteste Alternative. Sie ist schlecht für das Ego und man büßt das meiste Ansehen ein. Aber auch als geprügelter Hund den Rückweg über die Leiter nach unten anzutreten, ist keine Lösung. Denn das schmachvolle Bild verankert sich im Gedächtnis des Publikums.
Was das mit Präsentationen zu tun hat? Auch hier stehen Sie mitunter am gefühlten Abgrund, konzentrieren sich und dann kommt ein Kommentar oder eine unerwartete Frage und Schwups! Sie sind aus dem Konzept gebracht.
Meist springt man, etwas kopflos, ins kalte Wasser: Man stottert herum, der Blick klebt am Boden und während man von einem Bein aufs andere tritt, hofft man inbrünstig, der Boden würde sich auftun.
Was ist passiert? Ganz einfach, der innere Kritiker reibt sich die Hände, weil er endlich wieder Futter kriegt! Er übernimmt das Regiment und zieht die gesamte Bandbreite der Beschimpfungen aus dem Hut. So wird der Redner oder Präsentator nicht durch die Frage oder den Kommentar „kleiner und kleiner“ sondern vielmehr durch den inneren Kritiker, von dem er sich kalt erwischen lässt.
Jetzt heißt es „Ruhig, Blut!“ einen kühlen Kopf bewahren und schnell wieder Boden unter den Füßen erlangen. Nur, wie? Simpel und doch immer äußerst hilfreich: Tief in den Bauch atmen. Ein zwei tiefe Atemzüge lassen den plappernden Kritiker leiser werden.
Trainieren Sie Ihren Spontaneitätsmuskel
Schlagfertig Paroli bieten kann sich durchaus positiv auf das eigene Ansehen auswirken. Spontan reagieren ist gut, aber wenn man damit nicht gleichzeitig das innere Gleichgewicht zurückgewinnt, macht man beim Absprung trotzdem eine schlechte Figur und die Braut am Beckenrand bleibt unbeeindruckt. Im Eifer des Gefechts fallen parierende Worte oft härter aus als beabsichtigt und der Dolch wird tiefer gestoßen, als angemessen. Also Maßvoll parieren? Ja. Aus der Fassung bringen lassen? Nein. Sonst ist Ihnen die Situation letztendlich doch entglitten.
Leichtigkeit und Humor machen aus einem schwergewichtigen parierenden Schlag, der den Gegner k.o. schlägt (und weitere Kommunikation unwahrscheinlich macht), einen lässig eleganten Nasenstüber. Doch, Sie kennen das bestimmt: Der geniale Einfall kommt gerne zehn Minuten zu spät.
Aber hier gibt es Abhilfe: Spontaneität ist trainierbar.
Kennen Sie das Improvisationstheater?
Der breiten Masse durch die „Schillerstrasse“ oder „Frei Schnauze“ bekannt, verlangt Improvisationstheater vom Schauspieler die Fähigkeit, spontan aus der gebotenen Situation etwas zu machen. Es liegt in der Natur dieses spontanen Spiels, dass es keine Proben gibt. Dennoch trainieren die Schauspieler. Haben wir doch alle einen „Polizisten im Kopf“(inneren Kritiker), der für die Einhaltung unserer moralischen Vorstellungen sorgt, der darauf achtet, dass wir uns weder blamieren noch Unsinn erzählen – uns aber gleichzeitig von vielen kreativen Einfällen abschneidet – manchmal genau die zehn Minuten lang.
Um diese „Zeitverschiebung“ der kreativen Reaktion außer Kraft zu setzen, gehen Improvisationsschauspieler nie ohne Aufwärmphase auf die Bühne. In Ermangelung eines festgelegten und probbaren Textes trainieren sie ihre Fähigkeit spontan zu reagieren – ihren Spontaneitätsmuskel. Damit auch Sie als Redner lernen, Ihrem Publikum wie ein Ritter ohne Furcht und Tadel zu begegnen, habe ich eine Übung für Sie.
Eins vorweg: Scheitert der Improvisationsschauspieler auf der Bühne, freut sich das Publikum. Auch Schauspieler haben Blackouts und Angst, sich Blößen zu geben. Deshalb trainieren Schauspieler nicht nur ihre Kreativität, sondern auch die Fähigkeit, sich nicht aus der Bahn werfen zu lassen. In diesem Sinne: Übung macht den Meister!
Übung
Frei assoziieren
Nehmen Sie das erstbeste Wort, das Ihnen einfällt. Welches Wort fällt Ihnen zum Beispiel zu „Baum“ ein? Spontan! Vielleicht „Haus“? Was fällt Ihnen spontan zu „Haus“ ein usw.
Baum – Haus – Garten – Zwerg – klein – Kind – erwachsen – Wissen – Schule – Schwänzen – Ärger – Aufgaben – erledigen – gemeinsam – Menschen – Menschheit – Zusammenhalt – Bedingung – trauen – Ehe – Ring – Silber – Gold – teuer – Gehalt – usw.
Wichtig: Bewerten Sie nicht! Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf – egal, was dabei herauskommt.
Diese Assoziationsketten machen Ihr Gehirn wendiger, so dass der spontane Einfall keine zehn Minuten mehr braucht, bis er sich den Weg in Ihr Bewusstsein bahnt.
Und wer die Assoziationskette lieber am Computer übt findet hier den Assoziationsraum: http://www.tageloehner.de/assoz/index.php?word=orgen&assoz=morgen&new=new
Cool bleiben, Tempo rausnehmen, Stärke zeigen
Dort oben auf dem Zehnmeterbrett stockt der Atem, man läuft rot an und klare Gedanken haben sich in Ecken verzogen, die unauffindbar sind. Ganz normale Reaktionen in Stresssituationen. Jetzt eine Antwort aus gesicherter Position zu geben wäre ein Geniestreich, aber eben genauso selten. Zu guter letzt sinkt man in sich zusammen und auch dem letzten ist nun klar: da ist einer getroffen worden.
Übrigens, auch das passiert meist nicht, weil uns der Kommentar oder die Frage so hart getroffen hat, sondern weil sich unser innerer Kritiker sofort einschaltet und sein gesamtes Repertoire zieht.
Jetzt gilt es, sich neu zu sammeln, um mit Gelassenheit die Situation neu zu betrachten:
- Atmen Sie tief in den Bauch! Allein ein, zwei Atemzüge bewusst zu spüren, bringt den Boden unter den Füßen zurück.
- Richten sie sich auf. Irritationen von außen bewirken meist ein körperliches Erstarren und in sich zusammensinken. Stellen Sie sich also bewusst auf beide Beine, stellen Sie sich einen Faden vor, der an Ihrem Hinterkopf befestigt ist und Sie nach oben zieht. Schultern nach unten und zurück.
- Machen Sie unmerklich einen Schritt zur Seite oder bewegen sich in einer andere, für Sie hilfreichen Weise. Das löst die Erstarrung.
- Halten Sie Blickkontakt. Schauen Sie den Fragenden und Ihr Publikum an, statt den Blick sinken zu lassen.
- Denken Sie dran: Sie müssen nicht sofort antworten, sondern Sie dürfen erst einen klaren Gedanken fassen.
Statt aus Angst oder Zorn können Sie jetzt aus einer Haltung der Stärke heraus entscheiden, welche Reaktion der Situation angemessen ist.
Sie können parieren: „Ich lasse Sie gerne vor“ oder „Ich wollte nur mal wissen, wie die Luft hier oben ist“ – und Sie gehen seelenruhig mit erhobenem Haupt zur Treppe.
Sie können nonverbal reagieren, in dem Sie sich langsam umdrehen, den Sprecher von oben bis unten mustern, sich wieder umdrehen, einige tiefe Atemzüge nehmen und springen.
Sie können seinen Kommentar völlig ignorieren.
Und damit Ihnen in der Präsentation schneller gute Einfälle kommen, bereiten Sie sich auf mögliche Fragen und Einwände vor. Fragen Sie sich selbst: Was würde ich noch gerne wissen wollen?
Zu guter Letzt: Denken Sie daran, dass jede gute Performance intensive Vorbereitung braucht, eine Prise Gelassenheit, eine gute Portion Selbstvertrauen und viel Humor.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Trainieren Ihres Spontaneitätsmuskels, damit Ihr innerer Kritiker stetig an Boden verliert.
Herzlichst
Ihre Christine Riedelsberger